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RPG allgemein: Warum Settings nicht mit jedem System spielbar sind (Blog) {System, Setting, Theorie}
30.4.2009, 20:12
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Dom
Es gibt Leute, die sagen: „Jedes Setting ist mit jedem System spielbar.“

Ohne auf den Begriffen rumreiten zu wollen, verstehe ich in diesem Satz „Setting“ als: „Hintergrundzeugs, dass ohne Regeln auskommt.“ Und „System“ heißt: „Regeln, die im Regelbuch stehen.“ Ganz unscharf.

Da nehme ich mir doch mal das Setting von Traveller und das System von DSA. Und dann stelle ich fest: In Traveller kann man mit einem Raumschiff fliegen, Ortellerie abfeuern und Computerprogramme benutzen. Und oh, in DSA gibts keine Regeln dazu.

Klar kann ich auch für das Traveller-Universum Regeln erfinden, die irgendwie Ähnlichkeiten mit den DSA-Regeln haben. Aber darum geht es ja bei der obigen Aussage nicht, oder etwa doch?
30.4.2009, 20:50
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Purzel

Zitat von Leuten, die sagen:

Jedes Setting ist mit jedem System spielbar.
Aber niemand behauptet, das sei einfach zu bewerkstelligen oder das Ergebnis wäre ein zufriedenstellendes Spielerlebnis.
zuletzt geändert: 30.4.2009, 20:52
30.4.2009, 22:35
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Dom
Was soll „spielbar“ denn dann bedeuten?
1.5.2009, 00:31
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PiHalbe
Da würde ich ein bisschen zwischen Regelmechaniken und Regelinhalten abgrezenen. Während erstere das Grundgerüst bieten ("Wie würfel ich eine Probe? Was bedeutet das eigentlich?") bilden letztere die Anknüpfung an die Spielwelt ("Okay, worauf würfel ich denn nun Proben? Was bringen mir eigentlich Kampfreflexe?"). Bei letzterem muss man dann auch nachhelfen, wenn man Traveller mit DSA spielt.

Während also nicht unmittelbar jedes Setting mit jedem Regelwerk (Mechaniken + Inhalte) bespielbar ist, lassen sich vermutlich immer Anpassungen auf Inhaltsebene finden, mit denen man das Regelwerk dann nutzen kann.

Dafür bestimmen die Mechaniken natürlich sehr stark, welches Spielgefühl man hat. Aber das ist nun wieder eine andere Frage und theoretisch unabhängig vom Setting (wenn auch praktisch Spielwiese und Setting oft stark verknüpft sind).
1.5.2009, 05:58
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Dom
PiHalbe, du würdest die DSA4-Regeln dadurch auf folgendes verkürzen:

1. Es gibt Eigenschaften, auf die werden W20-Unterwürfel-Proben geworfen.
2. Es gibt Talente, denen jeweils drei Eigenschaften und ein TaW zugeordnet sind. Auf die wird mit dem 3W20-Ausgleich-System gewürfelt.
3. Im Kampf wird die Initiative mit W6 bestimmt. Außerdem noch das AT-PA-Wechselspiel.
4. Bei der Charaktererschaffung wählt der Spieler zunächst ein Paket für seine Rasse und ein Paket für seine Kultur.

Das sind, wenn man es ausführlich formuliert, vielleicht 3% der Regeln! Ich würde das nicht DSA4 nennen, denn gerade die detailliert ausgearbeiteten Spezialregeln mach das Spiel doch aus.
1.5.2009, 09:15
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Taysal
„Jedes Setting ist mit jedem System spielbar …“

„… wenn du genug Zeit reinsteckst.“

Aber was bleibt dann noch vom Regelwerk übrig? Dann kann ich doch sofort das Original kaufen und spielen.

„Jedes Setting ist mit jedem System spielbar.“ sagen Leute, die unter allen Umständen an ihren Lieblingsregeln festhalten wollen. Doch die Regeln bestimmen auch immer die Welt mit oder werden von dieser beeinflusst. Vor allem mäht es die Absichten der Autoren und Designer nieder.

Natürlich kann ich mit D&D4E Warhammer Fantasy spielen, aber was bliebe vom Stil übrig, den WHF ausmacht? Da ist es dreckig, gemein und tödlich, da fliegen Körperteile oder quellen Därme aus dem Bauch. D&D4E hat ein abstrakteres Kampfsystem, mit jedem Stufenanstieg hält man mehr aus und kann Sachen, die in WHF eigentlich nicht möglich sind. Vor allem fliegt und quillt kein Stückchen Körper. Kann man auch spielen, aber dann geht Stil verloren. Kann man auch Optionalregeln einbauen, aber es kostet weniger Zeit und ist stimmiger, sofort auf WHF zurückzugreifen.
1.5.2009, 09:32
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Purzel

Zitat von Leuten, die sagen:

Jedes Setting ist mit jedem System spielbar.
Auf jeden Fall bedeutet „spielbar“ hier wohl nicht, daß keine Regeln modifiziert werden müssen und daß das Spielerlebnisl des Settings oder des Systems bei der Konvertierung erfolgreich übernommen wird.

Spoiler zu "Mini-Rant": (anzeigen)

Leider lassen sich die Leute, die diese Behauptung aufstellen, selten dazu herab, ihre Behauptung mal mit einem Testspiel zu belegen (z.B. indem sie den Traveller-Hintergrund mit DSA4 Regeln bespielen). Dann müssten sie zugeben, daß dieser Versuch viel Arbeit am System kostet, daß das Setting-Feeling verloren geht, und daß der Spaß dabei auf der Strecke bleibt.
*grummel*

So eine Spielbarkeitsbehauptung kann man immer aufstellen, wenn man die praktischen Probleme ignoriert.
1.5.2009, 10:05
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Harald Wagener
Ich glaube ja, dass das stimmt. Man muß aber Reibungsverluste hinnehmen (also den Teil, der Arbeit macht) und kann nicht erwarten, dass das Spielgefühl erhalten bleibt.

Zur Verteidigung muß man aber sagen, dass man einen Systemwechsel ja eigentlich nur dann macht, wenn die alten Regeln eben nicht das erwartete Spielgefühl bringen.

Ich würde allerdings auch häufig genug sagen: VIelleicht ist es dann auch sinnvoll, gleich die Spielwelt zu wechseln.

PS: Ja, dass „die Regeln“ häufig auf ein ganz kleines Prinzip runterzuschnurren sind, stimmt. Mutants&Masterminds/True20 zum Beispiel kennt eigentlich nur die Regel „wirf einen W20 möglichst hoch“. Ich halte diese Erkenntnis ja für wesentlich, weil sie es mir erlaubt, komplexere Regelabschnitte in Relation zum Kernprinzip zu bewerten und zu verstehen. Aber das ist ab vom Thema.
1.5.2009, 11:18
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PiHalbe

Zitat von Dom:

PiHalbe, du würdest die DSA4-Regeln dadurch auf folgendes verkürzen
Ja, das stimmt. In der Tat bliebe nicht viel mehr übrig, als das was Du nennst. Das sind nun aber die inneren Mechaniken von DSA, an denen alle Regelinhalte (außer Wunschvolumen und Realitätsdichte ;-) ) ansetzen.

Ich wollte auch nicht sagen, dass es gut geht und man das machen sollte. Ich wollte lediglich unterscheiden, dass es da einen Teil gibt, der settingspezifisch ist, und einen Teil, der settingunabhängig ist. Ersteres sind die abstrakten Mechaniken, letzteres die konkreten Ausformungen derselben. Erstere kann man gut übernehmen, zweitere nur bei glücklichen Zufällen.

Zweiteres ist das, wo die Konvertierungsarbeit drin steckt und auch ein guter Teil des Flairs.

Ich denke, die widersprüchlichen Aussagen sind in der Hinsicht vor allem ein Kommunikationsproblem. Was meine ich genau mit „Regeln“?
1.5.2009, 12:44
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Purzel
Aber wenn Begriffe (wie System und Setting) beliebig unspezifisch verwendet werden und jede sinnvolle Einschränkung ignoriert wird, dann ist die Aussage

Zitat von Leuten, die sagen:

Jedes Setting ist mit jedem System spielbar.
wertlos. Sie ist zwar gültig und enthält alle denkbar möglichen Spiele mit allen System und allen Settings, aber unterscheidet nicht, welche Kombinationen davon nun besonders interessant und qualitativ gut sind, und welche davon Grütze sind.

Nein, um auf einen grünen Zweig (sprich: etwas für das eigene Spiel verwendbares) zu kommen, brauchen wir gemeinsame, spezifizierte Begriffe.
zuletzt geändert: 1.5.2009, 12:49
4.5.2009, 10:15
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Arne Babenhauserheide
Meiner Erfahrung nach formt das Regelwerk das Setting mit, während man spielt.

Erfahrung: Wir haben eineinhalb Jahre eine High-Fantasy Welt mit Gurps gespielt. Das Ergebnis war, dass die Runde immer weiter ins berechenbare driftete und einen Gutteil des Fantasy-Flairs verlor.

Jetzt spielen wir die gleiche Welt mit dem EWS, und sie driftet eher weiter ins High-Fantasy als sie ursprünglich geplant war.

Als Grund sehe ich vor allem, dass jedes Regelwerk nicht nur eine abstrakte Art liefert, wie Interaktion behandelt wird, sondern auch die Spielinterne Realität bestimmt.

Das Regelwerk legt zum Beispiel fest, wie heldenhaft ein anfangender Kämpfer ist.

- In DSA (3) trifft ein Anfangskrieger nur gut jedes zweite Mal, obwohl er jahrelang Schwertkampf gelernt hat, schließlich sind Kämpfe eine völlig andere Situation als das Schwerttraining.
- In Shadowrun (3) trifft ein anfangender Kämpfer einen ungeübten so gut wie immer und kann auch gegen 5 Gegner gleichzeitig bestehen. Nach der ersten Wunde sinken seine Chancen im Nahkampf allerdings massiv.
- In Gurps (4) wird die Anfangsfähigkeit eines Kriegers zum Großteil bei der Erschaffung durch die gewünschte Charakterstärke festgelegt und ist dann sehr gut planbar. Angehende Helden (Wert 13) treffen in etwa 83% der Fälle. Sie parieren aber nur in etwa 38% der Fälle (3 + halber Wert).
- Im EWS hängt die Trefferchance im Nahkampf v.a. von der Stärke des Gegners ab. Wenn ein Kämpfer 6 Punkte besser ist als sein (einzelner) Gegner (z.B. guter Krieger gegen Goblin), muss er sich um den Kampfausgang keine großen Sorgen mehr machen. Bei mehreren Gegnern sieht das schnell anders aus (Malus von 3 pro zusätzlichem Gegner — da sind die 6 Punkte schnell weg).

Die Geschichte „Krieger stürzt sich auf 20 Goblins, die gerade eine adlige Frau aus ihrer Sänfte zerren“ würde also in den verschiedenen Systemen sehr unterschiedlich enden.

- DSA 3: Der Krieger wird nach heldenhaftem Kampf niedergerungen, nimmt aber viele Goblins mit in den Tod und kann der Frau die Zeit zur Flucht verschaffen.
- Shadowrun: Wenn der Krieger nicht das Pech hat, eine Wunde abzubekommen, richtet er ein fürchterliches Gemetzel an (Goblins->Ganger ohne Fernkampfwaffen). Sobald er aber die erste Wunde hat, sollte er sich zurückziehen, da er sonst schnell als schaschlik endet.
- Gurps: Da der Paradewert niedriger liegt als der Angriffswert, wird der Krieger immer wieder getroffen und bricht recht bald zusammen.
- EWS: Wenn der Krieger intelligent genug ist, den Wagen im Rücken zu haben, hat er realistische Chancen viele der Goblins mitzunehmen. Sonst wird er niedergemacht, sobald ihn vier Goblins von allen Seiten angreifen.

Deswegen greift das System direkt in den Hintergrund ein: Ein Shadowrunner wird sich viel eher einfach in die Mitte der Ganger/Goblins stürzen als ein Krieger im EWS, selbst wenn beide im Vergleich zu den Gangern/Goblins überragend sind.

Darüber hinaus haben die grundlegenden Regelmechanismen noch direkte Auswirkungen auf die Verteilung der Ergebnisse. Ein Poolsystem (xW6 gg MW, z.B. Shadowrun) hat völlig andere Wahrscheinlichkeiten als ein Unterwürfel-System (DSA, Gurps), oder ein ± System (EWS), und mehrere addierte Würfel (Gurps) geben eine viel stärker um den Erwartungswert zentrierte Verteilung als ein Würfel (DSA, Kampf).

Damit ist auch klar, dass ein DSA Krieger viel eher fürchten muss, dass ein Goblin mal Glück hat, aber auch viel häufiger von den glücklichen Fügungen des Schicksals berichten kann als z.B. ein Gurps Krieger, und dass in SR (6-er wiederwürfeln, viele Würfel) und im EWS (mit krits: 6-er Hochwürfeln, ein Würfel) die Ergebnisse nochmal sensationeller aussehen (weil die Spieler sehen, was damit sonst noch alles möglich gewesen wäre). Ein Shadowrunner (SR3!) hat die besten Chancen, auch härteste Mindestwürfe zu schaffen, also versuchen Shadowrunner eben doch noch, dem fliehenden Hubschrauber eine Minigranate durch das winzige Loch in der Scheibe zu feuern (hat bei uns geklappt — ich hatte lange nicht mehr so viele 6-er hintereinander gesehen :) ). Ein Gurps-Kämpfer würde das gar nicht erst versuchen, weil er viel weniger die Erfahrung macht, dass das Schicksal auf seiner Seite steht (dafür aber viel häufiger, dass gute Pläne auch gelingen — Boni machen deutlich mehr aus).

Fazit: Natürlich kann man jeden Hintergrund mit jedem System spielen, aber man verändert dadurch den Hintergrund, da viele InPlay-Geschichten nur mit bestimmten Regelsystemen wahrscheinlich (oder möglich) sind.

Ich verwende dabei für mich das Gleichnis: Das Regelwerk ist die (Mago-/Narrativo-/Pseudo-) Physik der Welt.

Als Ziel habe ich für mich: Wenn ich alle NSC Interaktionen mit dem Regelwerk ausspielen würde, sollten die Ergebnisse so aussehen, wie sie im Hintergrund beschrieben werden.
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